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Es ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte Wetzlar, zu dem sich rund einmal im Monat am Hausertor die Türen für interessierte Besucher öffnen. Abtauchen kann man hier in den Wetzlarer Untergrund bei der von der Tourist-Information angebotenen Stollenführung „Unterirdische Spuren in Wetzlar“ im Hausertorstollen. Doch diese ist nichts für schwache Nerven, denn in der Dunkelheit des Stollens werden die Teilnehmer durchaus mit hartem Stoff konfrontiert.
Diese grün umrankte Tür am Hausertor führt in den Wetzlarer Untergrund.
Diese grün umrankte Tür am Hausertor führt in den Wetzlarer Untergrund. © Sabine Glinke

Doch der Begriff „unter Tage“ ist in Bezug auf den Hausertorstollen tatsächlich irreführend. Denn: Es geht genaugenommen gar nicht hinab, sondern hinein. Das hat mit dem Hintergrund des Hausertorstollens zu tun. Der diente nicht etwa dem Erzabbau oder der Gewinnung eines anderen Rohstoffes, sondern der Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg. Als der Krieg Wetzlar erreichte, gingen die Industriebetriebe mit ihren Fertigungen „unter Tage“: Kriegsgefangene und heimische Bergleute sprengten Stollenanlagen in die umliegenden Anhöhen und Berge, wo dann Optiker und Mechaniker zusammen mit Zwangsarbeitern die kriegswichtigen Produktionen aufrechterhielten. Aber auch die Wetzlarer Bevölkerung fand hier Schutz vor den Bombenangriffen. So auch im Hausertorstollen, der direkt gegenüber der einstigen Produktionsstätte der Firma Leitz liegt und durch einen unterirdischen Gang mit dieser verbunden war. Der Hausertorstollen ist nicht der einzige seiner Art, aber der einzige, der an ausgewählten Terminen für Besucher zugänglich ist.


Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg

Stadtführer Dieter Kositschik
Stadtführer Dieter Kositschick kennt sich in dem unterirdischen Stollensystem bestens aus. © Sabine Glinke

Dieter Kositschik ist einer von drei Stadtführern im Team der Tourist-Information, die sich derzeit regelmäßig diesem düsteren Kapitel der Wetzlarer Stadtgeschichte widmen. Und Kositschik, der die Besucher durch den Eingang Im Berghang neben dem Stoff- und Nähstudio mit in die Dunkelheit nimmt, hält die Führung auf beeindruckende Weise: Er geht viel auf die gesamtgesellschaftlichen Aspekte des Zweiten Weltkrieges ein und skizziert in beklemmender Atmosphäre die Gräueltaten Adolf Hitlers und seiner Anhängerschaft von der Machtergreifung im Januar 1933 bis zum Ende der Kampfhandlungen in Europa im Mai 1945. Dass dies nichts für Zartbesaitete ist, zeigt sich an der Altersbeschränkung der Führung, die erst ab 14 Jahren empfohlen wird.


Helmpflicht, Taschenlampe empfohlen

Im Stollen herrscht für die Besucher Helmpflicht.
Im Stollen herrscht für die Besucher Helmpflicht. © Sabine Glinke

Doch bevor es in den Stollen geht, gibt es zunächst Instruktionen, die der Sicherheit der Teilnehmer dienen: Im Stollen müssen Helme getragen werden, denn trotz regelmäßiger Kontrollen sind abbrechende Steinstücke nicht ausgeschlossen. Taschenlampen werden darüber hinaus verteilt; viele Gäste haben diese bereits von zu Hause mitgebracht. „Nehmen Sie am besten Helme, die weit entfernt vom Eingang hängen“, empfiehlt der Stadtführer, denn: Nahe am Eingang sammelt sich mehr Feuchtigkeit als weiter hinten im Stollen. Angenehme 12 bis 15 Grad herrschen hier ganzjährig im Berginneren, die Luft ist frisch und klar und lässt einen entspannt und tief durchatmen. Das war in den Kriegsjahren durchaus anders: Bis zu mehrere tausend Menschen sollen dort gewesen sein und Zuflucht gesucht haben, während auf Wetzlar die Bomben niedergingen, genaue Zahlen gibt es laut Kositschik nicht, Schätzungen der verbliebenen Augenzeugen gehen auseinander. „Gehen wir mal davon aus, dass hier drinnen 1000 Menschen waren – die Luft muss sehr stickig und dünn gewesen sein“. Daran konnte im Evakuierungsfall auch die Lüftungsanlage, die heute noch zu sehen ist, und damals die Leitz-Arbeiter mit Frischluft versorgte, nichts ändern.


Leitz, Buderus und Pfeiffer Vacuum

Doch was wurde hier im Berghang von der Fima Leitz während des Krieges eigentlich produziert? Nun – alle optischen Gerätschaften, die man im Krieg eben so brauchte – Zieleinrichtungen für Kanonen, Fernrohre für U-Boote, Aufklärungskameras. Dabei spielte Leitz in Sachen Rüstungsproduktion in Wetzlar nicht die einzige Geige – auch Buderus war daran stark beteiligt, ebenso Pfeiffer Vacuum in Aßlar, die einen Steuerkreisel für die V2-Rakete produzierten.

Überreste der Rüstungsproduktion

Relikte aus vergangenen Tagen.
Relikte aus vergangenen Tagen. © Sabine Glinke

Unter Tage sieht man schließlich noch deutliche Überreste der Produktionsstätte: Türen zweigen vom Stollenhauptgang ab und führen in Räume, die als Materiallager dienten, hier findet sich eine Mauer, da ein metallener Schrank, hier ein Kabel der früheren Beleuchtung, dort alte Druckluftflaschen. Der Hausertorstollen ist ein wahres Paradies für Fans von sogenannten Lost Places, aber natürlich auch von Geschichtsinteressierten. Anschaulich schildert Kositschik anhand des Stollens die Grausamkeiten des zweiten Weltkrieges, Begriffe wie Euthanasie, Holocaust, Judenverfolgung, Zwangssterilisation, Abtreibung, Fliegeralarm, Kriegsgefangene, Zwangsarbeit und Bombardierung sind plötzlich ganz nah. Ob es also die feucht-kühlen 12 Grad Celcius sind, die einem im Stollen die Schauer über den Rücken jagen, oder die Ausführungen des Stadtführers – das mag offen bleiben. Die Führung im Stollensystem – Kositschik schätzt das Gangsystem auf etwa einen Kilometer Länge – gipfelt schließlich in einem kleinen Diavortrag, der noch einmal die wichtigsten Eckdaten des Zweiten Weltkrieges sowie die Ereignisse in Wetzlar aufzeigt. Die Teilnehmer können nur erahnen, was dieses düstere Kapitel der Weltgeschichte für die Generation unserer (Ur)Großeltern bedeutet haben mag. Der Stadtführer versucht es dahingehend plakativ: Sechseinhalb Jahre habe es damals im Schnitt gedauert, bis eine Frau ein neues Paar Schuhe bekommen habe. Das mag ein wenig zynisch wirken, verdeutlicht aber, wie gut es uns in der heutigen Zeit geht und was es zu bewahren gilt.

Rund eineinhalb Stunden dauert der Rundgang, bevor die Teilnehmer erstmalig wieder Tageslicht sehen. Etwa einmal im Monat bietet die Tourist-Information die Führung „Unterirdische Spuren in Wetzlar“ an, neben den öffentlichen Terminen, die auf 30 Personen begrenzt sind, besteht die Möglichkeit, individuelle Führungen für Gruppen zu buchen. Wer bei einem der öffentlichen Termine dabei sein will, sollte schnell buchen, denn die Führung ist sehr begehrt und meistens ausverkauft.


Termine und Buchung:

Buchungen Einzeltickets unter: https://tourist-information-wetzlar.reservix.de/events. Der nächste öffentliche Termin findet am Samstag, 9. März, um 15 Uhr statt. Die Tickets kosten 8 Euro. Treffpunkt ist am Jägerdenkmal am Hausertorstollen, der auch Geopunkt des Geoparkes Westerwald ist.

Gruppenführungen können unter: https://www.wetzlar.de/tourismus/planen-und-buchen/gruppenangebote.php angefragt werden.