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Was haben Kaugummis aus Südkorea, eine Briefmarke aus Togo, eine Keksdose aus Amerika, Keramik aus England und ein Comic aus Brasilien gemeinsam? Richtig – sie alle sind Rezeptionen von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“. Werther-Rezeptionen wie den genannten ist nun in Wetzlar anlässlich des literarischen Jubiläums „250 Jahre Goethes Werther“ eine Sonderausstellung gewidmet. „Werther.Welten – 250 Jahre internationale Wirkung von Goethes Roman ‚Die Leiden des jungen Werthers‘“ heißt die Schau, die vom 8. September bis zum 26. Januar 2025 in Stadtmuseum, dem Lottehaus und dem Jerusalemhaus zu sehen und zu erleben ist.
Werther.Welten
Blick in die Sonderausstellung "Werther.Welten" © Sabine Glinke
Dem Team der Städtischen Museen Wetzlar unter der Leitung von Dr. Anja Eichler ist eine bemerkenswerte Werkschau gelungen, die vor allem einer Kernfrage nachgeht: „Wie aktuell ist Goethes Werther heute noch?“ „Die Antwort finden Sie hier, in diesen Räumen!“ zeigt sich Anja Eichler überzeugt und zurecht auch ein bisschen stolz auf das, was das Kuratoren-Team, bestehend aus ihr selbst, der Kunsthistorikerin Dr. Angelika Müller-Scherf und Volontär Georg Weigand, in eineinhalb Jahren Vorbereitung auf die Beine gestellt hat. Noch im Frühjahr hatte sie bei einem Pressegespräch versprochen, dass diese Ausstellung anlässlich des Werther-Jubiläums etwas ganz Besonderes werden würde. Das Versprechen konnte gehalten werden.
Werther.Welten
International ist der Werther ein großes Thema. © Sabine Glinke

250 Jahre Werther-Rezeption

Entstanden ist ein Rundgang durch 250 Jahre Werther-Rezeption aus aller Welt – von Erstausgaben und Übersetzungen in verschiedenen Sprachen über Porzellanmalerei, Zeichnungen, Scherenschnitte, Karikaturen, Lieder, Plakate zu Bühnenstücken von Schauspiel bis Oper und Kostümzeichnungen bis hin zu modernen Formaten wie Comics, Mangas, Graphic Novels. Dazwischen: Keksdosen, Kaugummi, Schokolade. Und all das mit einem Werther-Bezug. Selbst nach Entenhausen und in die bunte Disney-Comicwelt von Donald und Co. hat es der Werther geschafft. Natürlich dürfen auch die digitalen Formate im Jahr 2024 nicht fehlen und so gibt es in der Ausstellung nicht nur viele audiovisuelle Medien zum Anschauen und Hören, sondern auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die den Werther lebendig und erlebbar macht. Manches ist ganz nah am Original, anderes frei interpretiert und ganz weit weg, die Vorlage bleibt aber immer klar erkennbar. Da wird die Werther-Figur als Basis genommen und mit den Geschlechterrollen gespielt, dort gibt es einen homosexuellen Werther, der sich in einen Kommilitonen verliebt, andere Vorlagen widmen sich direkt Lotte und dem Frauenbild.
Werther.Welten
Keksbox aus den USA - von einem Wetterauer importiert. © Sabine Glinke

Originale Reisepistole

Der Hauptteil der Ausstellung befindet sich im Stadtmuseum im Lottehof. Gleich zu Beginn der Ausstellung empfiehlt einem kein Geringerer als Literatur-„Papst“ Marcel Reich-Ranicki vom Bildschirm aus die Lektüre des Werthers. Tatsächlich tat er dies in seiner allerletzten Sendung der „Literarischen Quartetts“. Ein „Lichtstrahl“ (Klebeband am Fußboden) in den Werther-Farben Gelb und Blau führt durch die verschiedenen Räume, die sowohl thematisch als auch zeitlich sortiert sind: Befinden sich in den oberen Räumen zunächst die historischen Exponate, zeigt der Saal darunter vor allem die zeitgenössischen Formate - das Treppenhaus mit Plakaten von Werther-Theateraufführungen aus aller Welt bildet eine Art Übergang. Und so wandelt man durch 250 Jahre Werther – immer neu, immer frisch, immer anders interpretiert. Es gibt dabei fast nichts, was es nicht gibt, denn der Werther wird auf der ganzen Welt so viel rezipiert wie kaum ein anderes Werk. Stolz sind die Kuratoren nicht nur auf die Bandbreite der Exponate – rund 300 sind in der Ausstellung zu sehen, viele weitere befinden sich im Lager – sondern auch auf die Exklusivität einiger Stücke. So sind die Städtischen Museen etwa an eine seltene und wertvolle Tasse aus der Meißner Porzellanmanufaktur gelangt, die ein Sammler aus Siegen für die Städtischen Museen erworben und weiterverkauft hat. Dieser Sammler hat die Städtischen Museen auch ansonsten mit wertvollen Leihgaben unterstützt. Stolz sind die Kuratoren auch auf originale Reisepistole aus dem Besitz Johann Christian Kestners – jener Reisepistole, mit der sich Karl Wilhelm Jerusalem, der „originale“ Werther, erschossen haben soll. Die Waffe ist mittlerweile in Privatbesitz, wurde aber für die Ausstellung als Leihgabe zur Verfügung gestellt.
Pepper
Hallo, ich bin Pepper! © Sabine Glinke

Moderne Medien und Künstliche Intelligenz

Besonders farbenfroh und lebendig präsentiert sich der Ausstellungssaal mit den modernen Medien und gegliedert in verschiedene Themenbereiche, die der Werther abdeckt – etwa die Selbstmordthematik oder die Geschlechterrollen. Wer die Treppe aus dem historischen Bereich herunterkommt, wird zunächst mit einem Wandbild und einer Szene aus Disneys „Entenhausen“-Comics begrüßt. Hier wird der Werther zum Ganther. Weiter geht es mit der Filmografie rund um den Werther – angefangen mit Ausschnitten aus „Werther The Musical“ aus Südkorea. Erlebbar soll der Werther in diesem Teil der Ausstellung werden und so kann man hier nicht Dinge anschauen, sondern auch selbst in Aktion treten und etwa das spanische Computerspiel „Painting Werther“ ausprobieren – oder in Interaktion mit „Pepper“ treten. Der kleine Roboter, der im Fachbereich Wirtschaftsinformation der Technischen Hochschule Mittelhessen entwickelt wurde und der mittels Künstlicher Intelligenz trainiert wurde, beantwortet Gästen Fragen rund um den Werther. Ein weiteres KI-Projekt hat die Stabsstelle Bürgerbeteiligung und Digitale Perspektive der Stadt Wetzlar beigesteuert: Mit einem KI-gesteuerten Werther kann man ins direkte Gespräch gehen. Doch man kann auch Platz nehmen auf einem gemütlichen Sofa Platz nehmen und einem Rap-Song zum Thema Werther lauschen. Auch der Lotte World Tower aus Seoul hat es in die Ausstellung geschafft – als kleines Glasmodell. Die Namensgeberin war nun mal keine andere als Charlotte Buff: Der Gründer Shin Kyuk-Ho ist so großer Werther-Fan, dass er seiner Firma den Namen gab. Einst in der Süßwaren- und Getränkeproduktion aktiv, ist die Firma Lotte heute einer der größten Mischkonzerne Koreas. Einige Produkte aus dem Hause Lotte sind daher natürlich ebenfalls zu sehen. Wer am Ende der Ausstellung noch Muße hat, kann in der gemütlichen Lese-Lounge den Werther für sich (neu) entdecken.
Jerusalem-Schreibtisch 2.0.
Jerusalem-Schreibtisch 2.0 mit Digital-Theater Werther.live © Sabine Glinke

Digital-Theater auf dem "Mitmach"-Schreibtisch

Die Ausstellung zieht sich mit dem Lotte- und dem Jerusalemhaus noch über zwei weitere Stationen: Zusätzlich zu den Dauerausstellungen in den Goethe-Gedenkstätten, die bewusst das Flair von damals versprühen, wurden hier spannende und moderne Installationen geschaffen. Neben Kunstinstallationen von Ria Gerth ist hier besonders der „neue“ Jerusalem-Schreibtisch im Jerusalemhaus am Schillerplatz zu erwähnen: Wie würde der Schreibtisch eines heutigen Jerusalems wohl aussehen? „Die Besucher dürfen hier alles anfassen, was verändern, was hinlegen“, sagt Georg Weigand, „wir sind gespannt, wie der Schreibtisch am Ende der Ausstellung aussieht“. Gleichzeitig können die Gäste hier das während der Corona-Pandemie entstandene Digital-Theater Werther.live nacherleben.

Öffnungszeiten & Rahmenprogramm

Werther.Welten ist von Sonntag, 8. September bis zum 26. Januar in Stadtmuseum, Lottehaus und Jerusalemhaus zu sehen. Der Eintritt ist frei, setzt aber das „pay what you like“-System (bezahle, was du willst). Öffnungszeiten sind bis einschließlich Oktober von Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr, von November bi März von 11 bis 16 Uhr. Infos unter www.wetzlar.de/museum. Begleitet wird die Ausstellung von einem großen Rahmenprogramm mit Vorträgen, Workshops und Lesungen.