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Ein Stück der düsteren Geschichte Wetzlars wird am Samstag, 16. September, auf dem Kalsmunt in Wetzlar wieder lebendig. „Tile Kolup – der falsche Kaiser in Wetzlar“ erzählt die Geschichte des berühmten Hochstaplers Tile Kolup (auch: Dietrich Holzschuh) der von sich behauptete, der letzte Staufer-Kaiser Friedrich II. (1194–1250) zu sein – und zwar mehr als 30 Jahre nach dessen Tod. Seine Reise führte von Köln über Neuss und Frankfurt schließlich nach Wetzlar – wo er schließlich wegen Ketzerei verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Dargeboten wird das Ganze nicht etwa als Theaterstück, sondern als Moritat.
Der Stadtschreiber (Heinrich Bethge) erzählt die Moritat von Tile Kolup
Der Stadtschreiber (Heinrich Bethge) erzählt auf dem Kalsmunt die Moritat von Tile Kolup. © LademannMedia
Eine Moritat ist ein – zumeist schauriges - Erzähllied. Diese Schauerballaden, die sich auch an wahren Begebenheiten orientierten, wurden häufig durch eine Drehorgel, Violine, Gitarre oder Harfe begleitet, auf Straßen, Plätzen und Jahrmärkten von Moritatensängern und Bänkelsängern vorgetragen. Dabei wurde die Dramatik oft durch einen erhöhten Stand und entsprechende Leinwandbilder oder Moritatentafeln gesteigert, auf die mit einem langen Stock gedeutet wurde. Dazu verkauften die Sänger Texthefte oder sammelten vom Publikum Geld; so konnten sie ihren Lebensunterhalt verdienen.

Kostüm aus Leinen

Die Moritat von Tile Kolup wird auf dem Kalsmunt durch den Wetzlarer Schauspieler Heinrich Bethge lebendig. Dieser schlüpft aber nicht in die Rolle des falschen Kaisers selbst, sondern in die des Stadtschreibers, der die Moritat vorliest – unterstrichen von Bildern des Wetzlarer Künstlers Peter Atzbach. Atzbach hat Zeichnungen auf Leinwänden erstellt, die verschiedene Szenen der Reise und Erlebnisse von Tile Kolup in Wetzlar darstellen. Ganz im Stile einer echten Moritat. „Eingekleidet“ wurde Heinrich Bethge von Kostümbildnerin Petra Reddig, die regelmäßig für die Wetzlarer Kostümführungen Kostüme schneidert.
Gewählt hat sie einen roten Leinenstoff mit einem geringen Anteil an Jersey. „Früher wäre das reines Leinen gewesen, das fällt aber nicht so schön“, erklärt sie beim Fototermin auf dem Kalsmunt, zu dem sie Bethge begleitet hat. Schließlich muss noch überprüft werden, dass alles richtig sitzt. Ausgestattet mit verschiedenen Beuteln, darunter einem Futteral für die Stifte und Mütze, gibt Bethge in seinem roten Gewand ein tolles Bild in der derzeit saftig grünen Kulisse des Kalsmunts ab. „Es fehlt noch was“, verrät er, und verweist auf ein großes, dickes Buch mit Ledereinband, das er zum Vorlesen der Moritat verwenden wird. „Ich werde nichts auswendig lernen, sondern tatsächlich wie eine Moritat vorlesen“. Den Text hat er sich entsprechend handgeschrieben – zwölf Seiten umfasst die Fassung der Moritat, deren Text er zusammen mit Peter Atzbach erarbeitet hat. „Das längste Diktat meines Lebens“ scherzt Bethge.

Bethge: "Künstlerische Freiheit nutzen"

Was das Thema Tile Kolup anbelangt, so scheiden sich die Geister. Unterschiedlich ist seine Geschichte (in Wetzlar) überliefert, das Werk von Dr. August Schoenwerk gilt als eine der plausibelsten Erzählungen.

In Kürze zum historischen Stoff: Tile Kolup gab sich der Überlieferung nach 1284 erstmalig in Köln als verstorbener Kaiser Friedrich II. aus. Er nutzte dafür den Volksglauben an die Rückkehr des Kaisers aus. In Köln wurde er allerdings aus der Stadt gejagt. Stattdessen fand der Betrüger, der mit einem gefälschten Siegel Friedrichs II. eigene Urkunden ausstellte, gut ein Jahr lang in Neuss starken Rückhalt und hielt dort Hof. Er empfing hohe Herren und Legaten, Bischöfe und Fürsten, gab Urkunden aus und bestätigte Privilegien (beispielsweise der Äbtissin zu Essen). Der rechtmäßige König Rudolf von Habsburg, an dessen Gegner sich Kolup geschickt anschloss, belagerte diese Stadt vergeblich. Als die Unruhen größer wurden, wich Tile Kolup im Sommer 1285 nach Wetzlar aus. Als König Rudolf und der Erzbischof von Köln mit ihren Heeren vor Wetzlar zogen, lieferten die Wetzlarer Tile Kolup an den rechtmäßigen König aus. Der ließ ihn hier am 7. Juli 1285 als Ketzer verbrennen.

Bethge scheut sich nicht vor dem Stoff, auch wenn dieser schon viel diskutiert wurde. „Wir erlauben uns, die künstlerische Freiheit anzuwenden“. Der ein oder andere Aspekt werde ein klein wenig anders erzählt. Wie genau und was der Kalsmunt dabei für eine Rolle spielt, das erfahren die Zuschauer/innen bei der Premiere am 16. September um 14.30 Uhr. Treffpunkt ist direkt auf dem Kalsmunt. Eine weitere Aufführung findet um 15.45 Uhr statt. Tickets gibt es unter: https://www.wetzlar.de/tourismus/planen-und-buchen/oeffentlichefuehrungen.php. Bei leichtem Regen wird trotzdem gespielt; bei Starkwetterereignissen wird die Veranstaltung ins Stadt- und Industriemuseum im Lottehof verlegt. Das Wettertelefon ist von 10.30 bis 13 Uhr unter 06441-997755 zu erreichen.
Der Stadtschreiber (Heinrich Bethge) auf dem Kalsmunt.
An dieser Stelle auf dem Kalsmunt wird gespielt © LademannMedia

Tile Kolup in Wetzlar

Die Moritat am 16. September ist nicht die einzige Möglichkeit in Wetzlar, Tile Kolup zu erleben. Auch an anderen Stellen in Wetzlar findet man Hinweise auf den falschen Kaiser. So ist die Geschichte im Durchgang vom Kornmarkt in Richtung in der Altstadt in bunten und fantasievollen Wandmalereien bebildert. Die Aktion geht auf eine Initiative des Wetzlarer Künstlers und Kunstpädagogen Dieter Mulch zurück, die er 1980 mit Schülerinnen und Schülern der Goetheschule realisierte.

Auch die Wetzlarer Arbeitsloseninitiative (WALI) hat sich 2002/2003 in einer umfassenden Projektarbeit der Geschichte des falschen Kaisers angenommen. Dabei entstand auch das Mosaik-Denkmal im Gewerbepark Spilburg. Auf der Grundlage eines alten Stuhles entstand ein Flammenthron, der anregt, das Wort "Denkmal" als Aufforderung aufzufassen: Jeder kann den Thron besteigen und sich als falscher Kaiser fotografieren lassen.

Wanderer, die den 3-Türme-Weg laufen, werden ebenfalls mit dem Thema Tile Kolup konfrontiert. Im sogenannten „Kaisersgrund“, einem naturbelassenen Waldstück zwischen Frankfurter Straße und Friedenstraße passiert man den Gedenkstein für den falschen Kaiser Tile Kolup. Ab der Friedenstraße ist der Gedenkstein auch ausgeschildert.
Mosaik-Thron in der Spilburg
Auf dem Mosaik-Thron kann jeder zum falschen Kaiser werden. © Karina Richter